Patienten mit einer schwerwiegenden Erkrankung haben seit März 2017 unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Cannabis. Jeder Haus- und Facharzt darf seitdem getrocknete Cannabisblüten und -extrakte sowie Arzneimittel mit den Wirkstoffen Dronabinol und Nabilon verordnen. Die Krankenkassen übernehmen im Regelfall die Kosten für die Therapie.
Aber wie schaut die Umsetzung in der Praxis aus?
Der Arzt, Autor und Cannabisfürsprecher Dr. Franjo Grotenhermen ist Gründer und Geschäftsführer der International Association for Cannabinoid Medicines (IACM), Gründer und Co-Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Cannabis als Medizin (ACM); und Vorsitzender der Medical Cannabis Declaration (MCD), einer Wohltätigkeitsorganisation, die sich der Förderung des sicheren Zugangs zu medizinischem Cannabis und einer evidenzbasierten klinischen Praxis verschrieben hat. Er erzählt MCN über die aktuelle Cannabislandschaft in Deutschland und wirft einen Blick auf Politik und Praxis.
Was unterscheidet Deutschlands gesetzgeberischen Ansatz zu medizinischem Cannabis von anderen EU-Ländern?
Seit 2017 darf jeder Arzt nach deutschem Recht Medikamente auf Cannabisbasis verschreiben, darunter Cannabisblüten, Extrakte und einzelne Cannabinoide. Unter bestimmten Voraussetzungen müssen die Krankenkassen die Therapiekosten übernehmen. Laut Gesetz dürfen Krankenkassen einen Erstattungsantrag nur in Ausnahmefällen ablehnen.
Was sind derzeit die größten Herausforderungen für Patienten, die in Deutschland Zugang zu Cannabis wünschen?
Cannabis und Cannabinoide sind in Deutschland vergleichsweise teuer: Im Schnitt kosten Cannabisblüten etwa 23 Euro pro Gramm. Da die Krankenkassen die Kostenübernahme sehr oft verweigern, können sich viele Patienten die entsprechende Therapie nicht leisten und werden gezwungen, illegal weiter betreut zu werden, obwohl ihr Arzt grundsätzlich eine Cannabis-basierte Therapie befürwortet.
Der hohe Preis macht eine Behandlung auf Cannabisbasis auch für Ärzte unattraktiv; Denn Ärzte haben ein begrenztes Medikamentenbudget, dessen Überschreitung zu einem sogenannten Regress – einer Strafzahlung – führen kann. Dies führt dazu, dass viele Patienten keinen Arzt finden, der bereit ist, Cannabis zu verschreiben.
Könnten Patienten davon profitieren, dass ihnen das Recht eingeräumt wird, ihre eigenen Pflanzen für medizinische Zwecke anzubauen?
Damit wären für viele Patienten und Ärzte die oben genannten Probleme gelöst. Das fordern wir schon lange. Wir hatten gehofft, dass das Gesetz von 2017 die Probleme besser lösen würde; Nach drei Jahren stellt sich jedoch heraus, dass die meisten Patienten nicht vom Gesetz profitieren.
Viele Ärzte zögern, Cannabis aufgrund der umfangreichen Bürokratie und des Risikos von Regressansprüchen zu verschreiben. Wie könnte das System geändert werden, um die Ausstellung und das Einlösen von Rezepten zu vereinfachen und gleichzeitig die Patientensicherheit zu wahren?
Im Wesentlichen gibt es vier Möglichkeiten:
- Ärzte sollten bei der Verschreibung von Cannabis-Medikamenten vom Regress ausgenommen werden. Ähnliche Ausnahmen gibt es bereits für die Verschreibung anderer sehr teurer Medikamente, beispielsweise bei Autoimmunerkrankungen, die mit Biologika behandelt werden;
- Die Kosten für Cannabis könnten in Deutschland erheblich gesenkt werden. Dieselben Cannabisblütensorten, die in den Niederlanden 6 bis 7 Euro pro Gramm kosten, kosten in Deutschland mehr als dreimal so viel. Das ist völlig übertrieben;
- Patienten sollte erlaubt werden, ihr eigenes Cannabis anzubauen, wenn sie ein ärztliches Attest vorlegen können, nachdem eine Therapie mit Cannabis notwendig ist; und
- Die Entscheidung, ob eine Behandlung mit Cannabis notwendig ist, sollten Ärzte und nicht Krankenkassen treffen.
Wie wird sich Ihrer Meinung nach die deutsche Politik zu medizinischem und Freizeit-Cannabis in Zukunft entwickeln?
Das 2017 verabschiedete Gesetz zu medizinischem Cannabis brachte zunächst deutliche Verbesserungen. Da das Gesetz immer restriktiver angewendet wurde, gab es seither Rückschläge.
Mittelfristig wird sich die Lage jedoch wieder verbessern. Der Druck von Patienten und Öffentlichkeit wird zu groß sein, um diese Einschränkungen auf Dauer hinzunehmen. Darüber hinaus gibt es in den politischen Parteien, insbesondere im medizinischen Bereich, immer mehr Bewegungen, die sich dem Thema nicht zu restriktiv annähern.