Das anaplastische Schilddrüsenkarzinom (ATC) gehört zu den seltensten und aggressivsten Krebsarten. Es stellt eine besondere Herausforderung in der Onkologie dar, nicht nur aufgrund seiner Seltenheit, sondern auch wegen seiner raschen Progression und der begrenzten Behandlungsoptionen.
In diesem Artikel beleuchten wir die wesentlichen Aspekte des anaplastischen Schilddrüsenkarzinoms, von der Diagnose bis zu den aktuellen Behandlungsansätzen.
Was ist Anaplastisches Schilddrüsenkarzinom?
Das anaplastische Schilddrüsenkarzinom ist eine hochgradig maligne Form des Schilddrüsenkrebses, die für weniger als 1% aller Schilddrüsenkrebsfälle verantwortlich ist. Es zeichnet sich durch unkontrolliertes Wachstum und eine Tendenz zur schnellen Metastasierung aus. ATC tritt häufiger bei älteren Patienten über 60 Jahren auf und zeigt eine höhere Prävalenz bei Frauen.
Ursachen und Risikofaktoren von ATC
Ursachen und Risikofaktoren des Schilddrüsenkarzinoms
Schilddrüsenkrebs entwickelt sich durch genetische Mutationen in den Zellen der Schilddrüse, die zu unkontrolliertem Wachstum und der Ausbreitung des Tumors führen, sowohl lokal als auch in Form von Metastasen. Oftmals bleibt die genaue Ursache dieser genetischen Veränderungen unbekannt.
Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko, an Schilddrüsenkrebs zu erkranken. Das Alter spielt auch prognostisch eine Rolle: Bei jüngeren Patienten unter 20 Jahren und älteren über 45 Jahren ist die Prognose tendenziell schlechter. Frauen sind häufiger von Schilddrüsenkrebs betroffen als Männer, jedoch ist die Prognose bei Männern in der Regel ungünstiger.
Vorangegangene Strahlenbehandlungen im Halsbereich, wie sie beispielsweise bei Lymphdrüsenkrebs angewendet werden, können das Risiko für Schilddrüsenkrebs erhöhen. Die Zeitspanne zwischen der Strahlenexposition und der Diagnose eines Schilddrüsenkarzinoms kann zwischen fünf und 30 Jahren liegen.
Nach nuklearen Katastrophen, wie dem Reaktorunfall in Tschernobyl 1986, wurde insbesondere bei Kindern ein deutlicher Anstieg der Schilddrüsenkrebsfälle beobachtet – um etwa das 30-fache.
Jodmangel begünstigt die Entstehung differenzierter Schilddrüsenkarzinome, insbesondere des follikulären Typs. Durch verbesserte Jodversorgung, etwa durch jodhaltige Nahrung, Jodtabletten oder jodiertes Speisesalz, konnte ein Rückgang der anaplastischen Schilddrüsenkarzinome festgestellt werden.
Eine weitere Besonderheit ist das familiäre Auftreten von Schilddrüsenkrebs. Etwa 5% der papillären/follikulären Karzinome und bis zu 30% der medullären Karzinome sind erblich bedingt und erfordern eine spezielle Behandlung und Nachsorge.
Beim familiären medullären Schilddrüsenkarzinom wurden Mutationen im RET-Tumorgen identifiziert. Die RET-Gendiagnostik spielt eine entscheidende Rolle bei der Behandlung und Nachsorge betroffener Patienten sowie bei der Beratung und Diagnostik betroffener Familienmitglieder, einschließlich präventiver Therapieoptionen.
Symptome
Die Symptome des anaplastischen Schilddrüsenkarzinoms können eine rasch wachsende Schwellung im Halsbereich, Heiserkeit, Atembeschwerden und Schluckbeschwerden umfassen. Aufgrund seiner aggressiven Natur kann das ATC in kurzer Zeit zu erheblichen Komplikationen führen.
Diagnose und Untersuchungen
Die Diagnostik des Schilddrüsenkarzinoms beginnt mit einer sorgfältigen Anamnese. Dabei wird insbesondere auf frühere Bestrahlungen im Halsbereich und die Familiengeschichte eingegangen. Zusätzlich ist die Erhebung der B-Symptomatik ein wichtiger Bestandteil des Anamnesegesprächs.
Körperliche Untersuchung
Bei der körperlichen Untersuchung können größere Tumoren in der Schilddrüse und im Halsbereich oft durch Tasten identifiziert werden. Typische Merkmale eines Schilddrüsenkarzinoms sind feste, schmerzlose Knoten.
Laboruntersuchungen
Im Labor werden Serummarker zur Feststellung einer verbleibenden oder wiederkehrenden Erkrankung genutzt. Bei papillären und follikulären Schilddrüsenkarzinomen (PTC und FTC) wird Thyreoglobulin bestimmt, während bei medullären Schilddrüsenkarzinomen (MTC) Calcitonin gemessen wird. Die Schilddrüsenfunktion wird durch die Bestimmung der Hormone TSH, fT3 und fT4 überprüft.
Bei Verdacht auf eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse erfolgt die Bestimmung der Schilddrüsenantikörper (TAK, TRAK und TPO).
Calcitonin ist ein wichtiger Marker für das medulläre Schilddrüsenkarzinom und sollte bei jedem Schilddrüsenknoten mindestens einmal bestimmt werden. Es ist auch ein zentraler Parameter in der Nachsorge des medullären Karzinoms.
Nach einer kompletten Schilddrüsenentfernung (Thyreoidektomie) und Radiojodtherapie wird regelmäßig Thyreoglobulin gemessen, um ein mögliches Wiederauftreten des Krebses zu erkennen.
Weitere Bluttests, wie Blutbild, Mineralhaushalt sowie Nieren- und Leberwerte, sind Teil der regelmäßigen Tumornachsorge.
Sonographie
Die Ultraschalluntersuchung der Schilddrüse ist die grundlegende Diagnosemethode und wird bei allen vermuteten oder bestätigten Knoten, Vergrößerungen oder Funktionsstörungen der Schilddrüse eingesetzt. Sie ist ein schnelles, einfaches und nicht belastendes Verfahren und eignet sich besonders für Screening, Verlaufskontrolle und Nachsorge.
Die Elastographie, eine neuere Entwicklung in der Ultraschalldiagnostik, misst die Elastizität des Gewebes und nutzt die Tatsache, dass Tumorgewebe oft weniger komprimierbar ist als gesundes Gewebe.
Szintigraphie
Bei Schilddrüsenknoten ab einer Größe von 1 cm wird eine Schilddrüsenszintigraphie empfohlen. Dieses Verfahren ergänzt die strukturellen Informationen der Sonographie durch funktionelle Daten. Mit Hilfe eines radioaktiven Markers können „kalte“ Knoten identifiziert werden, die eine höhere Wahrscheinlichkeit für ein Karzinom aufweisen und daher weiter untersucht werden sollten.
Feinnadelaspirationsbiopsie
Mittels Feinnadelpunktion können Schilddrüsenknoten unter Ultraschallkontrolle punktiert werden. Die mikroskopische Untersuchung der entnommenen Zellen kann Aufschluss darüber geben, ob ein maligner Tumor vorliegt. Bei Nachweis von sicher oder fraglich malignen Zellen ist eine Schilddrüsenoperation unmittelbar erforderlich.
Stadien / Klassifikation
Bei Schilddrüsenkrebs lassen sich vier Haupttypen aufgrund ihrer feingeweblichen Eigenschaften unterscheiden. Diese Typen variieren in ihrem natürlichen Verlauf, Behandlungsansätzen und Prognosen.
Karzinomtyp | Relative Häufigkeit | Auftreten | Prognose | Besonderheiten |
Papillär | 50-80% | gesamtes Alter | sehr gut | Sonderform: Mikrokarzinom |
Follikulär | 20-40% | mittleres/höheres Alter | gut | |
Medullär | 4-10% | gesamtes Alter | gut/mittel | Marker: Calcitonin |
Anaplastisch | 1-2% | höheres Alter | sehr schlecht | rasches Wachstum |
Die Klassifizierung von Schilddrüsenkrebs erfolgt gemäß dem TNM-System (UICC 2010), wobei die Größe des Tumors und seine Ausdehnung in benachbarte Strukturen (T), das Vorhandensein von Lymphknotenmetastasen (N) und das Auftreten von Fernmetastasen (M) als Kriterien dienen.
Papilläre, follikuläre, medulläre Karzinome | |
T1 | <2cm, begrenzt auf die Schilddrüse |
T1a | <= 1cm, begrenzt auf die Schilddrüse |
T1b | >1-2 cm, begrenzt auf die Schilddrüse |
T2 | >2-4 cm, begrenzt auf die Schilddrüse |
T3 | >4 cm oder minimale Ausbreitung jenseits der Schilddrüse |
T4a | Ausbreitung in Subcutis, Larynx, Trachea, Ösophagus, N. recurrens |
T4b | Prävertebrale Faszie, mediastinale Gefässe, A. carotis |
Anaplastisches/undifferenziertes Karzinom | |
T4a | begrenzt auf die Schilddrüse |
T4b | Ausbreitung jenseits der Schilddrüsenkapsel |
Alle Typen | |
N0 | keine regionären Lympknotenmetastasen |
N1 | regionäre Lymphknotenmetastasen |
N1a | Lymphknotenbefall zentral (Level VI) |
N1b | Lymphknotenbefall unilateral, bilateral oder kontralateral zervikal oder retropharyngenal oder mediastinal |
M0 | keine Fernmetastasen |
M1 | Fernmetastasen |
In der klinischen Praxis wird Schilddrüsenkrebs häufig nach einer Stadieneinteilung klassifiziert, die auf der TNM-Klassifikation, dem Alter des Patienten und dem histologischen Typ basiert. Die meisten Patienten befinden sich zum Zeitpunkt der Diagnose in den prognostisch günstigeren Stadien I und II. Die Stadien III und IV, die eine ungünstigere Prognose haben, sind durch sehr große Tumoren (über 4 cm), Lymphknotenmetastasen oder Fernmetastasen gekennzeichnet. Anaplastische Karzinome werden aufgrund ihrer sehr schlechten Prognose generell dem Stadium IV zugeordnet.
Papilläre/follikuläre (Alter 45 Jahre und mehr) | |||
Stadium I | T1a, T1b | N0 | M0 |
Stadium II | T2 | N0 | M0 |
Stadium III | T3T1, T2,.T3 | N0N1a | M0M0 |
Stadium IVA | T1, T2, T3T4a | N1bN0, N1 | M0M0 |
Stadium IVB | T4b | jedes N | M0 |
Stadium IVC | jedes T | jedes N | M1 |
Papilläre/follikuläre SD Karzinome (Alter unter 45 Jahre) | |||
Stadium I | jedes T | jedes N | M0 |
Stadium II | jedes T | jedes N | M1 |
Medulläre SD Karzinome | |||
Stadium I | T1a, T1b | N0 | M0 |
Stadium II | T2, T3 | N0 | M0 |
Stadium III | T1, T2,.T3 | N1a | M0 |
Stadium IVA | T1, T2, T3T4a | N1bjedes N | M0M0 |
Stadium IVB | T4b | jedes N | M0 |
Stadium IVC | jedes T | jedes N | M1 |
Medulläre SD Karzinome | |||
Stadium I | T1a, T1b | N0 | M0 |
Stadium II | T2, T3 | N0 | M0 |
Stadium III | T1, T2,.T3 | N1a | M0 |
Stadium IVA | T1, T2, T3T4a | N1bjedes N | M0M0 |
Stadium IVB | T4b | jedes N | M0 |
Stadium IVC | jedes T | jedes N | M1 |
Anaplastische SD Karzinome |
alle Fälle sind Stadium IV |
Das papilläre Mikrokarzinom der Schilddrüse, das eine Größe von maximal 10 mm aufweist, stellt einen Sonderfall dar. Es wird oft zufällig nach Schilddrüsenoperationen, die aus anderen Gründen durchgeführt wurden, entdeckt. Dieser Krebstyp hat eine sehr gute Prognose, und Patienten können nach einer vollständigen chirurgischen Entfernung des Tumors in der Regel eine normale Lebenserwartung entsprechend ihres Alters erwarten. Mikrokarzinome, die nur einen Herd aufweisen und auf die Schilddrüse beschränkt sind und zufällig bei der Untersuchung von Schilddrüsenoperationsmaterial gefunden werden, benötigen nach den aktuellen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie keine weitere Behandlung.
Behandlungsmöglichkeiten
Die Behandlung des anaplastischen Schilddrüsenkarzinoms ist komplex und erfordert oft einen multimodalen Ansatz. Dieser kann eine Kombination aus Chirurgie, Strahlentherapie und Chemotherapie umfassen. Die Chirurgie zielt darauf ab, den Tumor soweit wie möglich zu entfernen, während Strahlen- und Chemotherapie darauf abzielen, das Wachstum von verbleibenden Krebszellen zu verlangsamen oder zu stoppen.
Forschung und Zukunftsperspektiven
Die Forschung zu anaplastischen Schilddrüsenkarzinomen ist intensiv, mit dem Ziel, effektivere und zielgerichtetere Behandlungen zu entwickeln. Aktuelle Studien konzentrieren sich auf molekulare und genetische Aspekte des ATC, um potenzielle Ziele für neue Medikamente zu identifizieren. Immuntherapien und zielgerichtete Therapien sind vielversprechende Bereiche, die möglicherweise in Zukunft bessere Behandlungsergebnisse bieten könnten.
Abschließende Gedanken
Obwohl das anaplastische Schilddrüsenkarzinom eine seltene Erkrankung ist, stellt es eine erhebliche Herausforderung in der Onkologie dar. Die aggressive Natur und die begrenzten Behandlungsoptionen erfordern einen umfassenden und individualisierten Behandlungsansatz. Mit fortschreitender Forschung und Entwicklung neuer Therapien besteht die Hoffnung, dass die Prognose für Patienten mit ATC in Zukunft verbessert werden kann.